Brucknertage abseits des großen Meisters
Monteverdis “Marienvesper” mit dem Chor Ad Libitum in der Stiftsbasilika St. Florian.
Das zweite große Konzert der Brucknertage galt einem Werk, das Anton Bruckner möglicherweise, aber sicherlich nicht komplett kennen konnte, da die erste Gesamtausgabe der Neuzeit erst 1932 entstand. Es handelt sich um Claudio Monteverdis “Vespro della Beata Vergine”, die 1610 in einem ausladenden Sammeldruck quasi als Bewerbungsschreiben gedruckt wurde. Papst Paul V. gewidmet, bekam Montverdi zwar keine Anstellung in Rom, dafür aber drei Jahre später den wesentlich bedeutenderen Posten des Kapellmeisters von San Marco in Venedig.
Dirigent Heinz Ferlesch musizierte dieses Kompendium der damals möglichen Stile am Montag fulminant in der Stiftsbasilika St. Florian mit dem Chor Ad Libitum, dem herausragenden Ensemble Barucco und einem fein zusammengestellten Solistenensemble. Dabei gelang es vorzüglich, die enorme Bandbreite dieses Werks zu beleuchten, sowohl was die unterschiedliche, bis zum zehnstimmigen Doppelchor expandierende Besetzung anbelangt, als auch die Mischung des um 1600 auftretenden neuen monodischen Stils und der “alten” Vokalpolyphonie.
Gesungene Dreifaltigkeit
Inwieweit Monteverdi die Möglichkeiten getrennt voneinander agierender Gruppen beabsichtigt hat, können wir heute nicht mehr beantworten, dennoch hat Heinz Ferlesch sein Konzept darauf ausgelegt und die von Dirigent/Organist Matthias Giesen geleitete Schola Floriana, die jene für eine Vesper der damaligen Zeit üblichen Antiphone (Gegengesang) und Responsorien (Wechselgesang) intonierte, auf der rechten seitlichen Empore aufgestellt. Genauso die Aufstellung beim Concerto “Duo Seraphim”, wo er die beiden Engel links und rechts auf den Chororgeln positionierte. Wenn es im Text um die Dreifaltigkeit ging, kam die dritte Stimme aus dem Altarraum dazu.
Dabei geht es nicht bloß um Effekte, sondern tatsächlich um die Umsetzung der auch am Übergang zum Barock bereits höchst bedeutsamen Affekte.
Das meisterten die Solisten – Christian Andersson und Cornelia Horak (Sopran), Tore Tom Denys und Bernd Oliver Fröhlich (Tenor) sowie Matthias Helm und Ulfried Staber (Bass) – in aller Vielfalt hervorragend. Genauso der Chor Ad Libitum, der sich ideal auf die vielfältigen Aufgaben einstellte, in unterschiedlichen Besetzungen agierte und höchst textdeutlich wie fein phrasierend diese großartige Musik inszenierte.
Aber allen voran großes Lob an Barucco, das – leider namentlich unerwähnt – mit hervorragenden Solisten auf den Zinken und Posaunen aufwartete, insgesamt höchste Perfektion in technischen, intonatorischen Belangen zeigte und obendrein mit größtmöglicher Musikalität aufwartete. Heinz Ferlesch war der brillante Kommunikator zwischen den Gruppen und gestaltete die einzelnen Sätze mit ihren sehr unterschiedlichen Charakteren überaus überzeugend.
Fazit: Eine faszinierende Wiedergabe von Monteverdis meisterhafter Marienvesper.
(Michael Wruss, OÖN, 15.8.2023)